
Nicht bewirtschaftete Flächen werden von uns selten toleriert, stören unseren Ordnungssinn und müssen „kultiviert“ werden. Dabei sind Brachen oder Ruderalflächen besonders wertvolle Lebensräume. Viele Insekten und Wildpflanzen brauchen diese offenen, nährstoffarmen und spärlich bewachsenen Flächen. Ohne menschliches Tun wird aber jede Brache erst Buschland und schließlich Wald. Auf einem ehemaligen Acker südlich der Karl-Liebknecht-Straße zwischen Sportplatz und Heideweg in Hellerau war seit den 1990er Jahren eine Brache entstanden. Sie wurde zwar in weiten Teilen von der Kanadischen Goldrute dominiert, war aber trotzdem ein Lebensraum für viele verschiedene Insekten, Vögel und einheimische Kräuter. Es gab mehrere Versuche, die Fläche möglichst dicht mit Einfamilienhäusern zu bebauen. Zum Glück scheiterten sie alle.
Projekt Streuobstwiese
Die Fläche war seit Längerem im Fokus des Vereins Bürgerschaft Hellerau e. V. Mitglieder im Bürgerverein erarbeiteten ein Gestaltungs- und Nutzungskonzept mit dem Ziel, das Gelände in einen vielfältigen Naturraum zu entwickeln. Der Plan kombinierte eine gärtnerisch gestaltete Fläche mit einer Streuobstwiese und naturbelassenen Bereichen. Der Eigentümer der Fläche, die Stadt Dresden, stimmte zu und förderte das Projekt. 2016 wurde die Arbeitsgruppe „Naturraum Hellerau“ gegründet, welche sich seither um die Entwicklung der Fläche gemeinsam mit dem für das Dresdener Stadtgrün zuständigen Amt kümmert. Mittlerweile sind alle Obstbäume, vorrangig alte und heimische Sorten, angewachsen, ein Brunnen ist gebohrt und die Aussaat von regional typischen Wildblumen war ein voller Erfolg. Ackerwitwenblumen, Flockenblumen, Kornblumen, wilde Möhren, Wiesensalbei, Sandnelken und Margeriten verbreiten sich auf der Wiese. Vorhandene Arten wie Wicken, Stiefmütterchen, Löwenzahn, Bergsandglöckchen und viele andere mehr haben Luft und Licht durch Kontrolle des Goldrutenbestandes und können sich verbreiten. Auch ein Mähkonzept wird umgesetzt, welches Insekten eine Chance gibt, auf der Wiese zu überleben. Das klingt so einfach, ist aber mit vielfältiger, engagierter und ehrenamtlicher Arbeit der Mitglieder und Unterstützer der Bürgerschaft verbunden. Denn: Artenreiche Wiesen sind Kulturlandschaften, entstanden durch eine extensive Landnutzung magerer Flächen. Kein Dünger, selten und schonend gemäht. Das Gegenteil von intensiver Bewirtschaftung. 2019 hat sich der Naturraum Hellerau der Initiative Schmetterlingswiesen des Freistaates Sachsen angeschlossen. Das Projekt endete 2023 und wird seither unter iNNUVERSUMM.de weitergeführt. Dort ist der Blog zur Wiese unter Naturraum Hellerau oder Nummer 433 zu finden.
Ein Garten für Insekten
Auf Initiative der Gruppe Biene, Fledermaus und Co. im Bürgerverein erhielt der Naturraum im März 2022 einen gestalteten Lebensbereich für Insekten. Es wurde gegraben, geschaufelt, gesiebt, Erde verteilt, Bagger gefahren, beraten, Steine gesammelt und als Beetbegrenzung ausgelegt und eigene Ideen eingebracht. Ein Naturzaun umschließt eine Magerrasenfläche, eine Lehmgrube, zwei nährstoffreichere Hügel, mehrere thematische Beete und eine Trockenmauer. Eine Nisthilfe für Wildbienen ist voller Leben. Eine Reihe von für Insekten attraktiven Einzelarten, die an den Randbereichen ausgesät wurden, hat sich etabliert und liefert jährlich Ableger, die an interessierte Gartenbesitzer vergeben werden. Der erste Hügel wird von einer artenreichen Wiese bedeckt. Der zweite Hügel ist eine Rosenpracht, natürlich nur ungefüllte Sorten. Gefüllte Arten sind für Insekten meist wertlos, einzig Blattläuse finden sie toll. Dazwischen können wir den Findling in der Lehmgrube bewundern. An den Rosenhügel schließt sich eine kleine Magerwiese an. Neben der Magerwiese ist die Trockenmauer als Nist- und Schutzraum für Insekten und Eidechsen entstanden. In diesem Frühjahr ist schließlich das mit städtischer Förderung gebaute Gerätehaus übergeben worden.
Mittlerweile ist der Naturraum artenreiche Heimat von vielfältigen Wildpflanzen, Käfern, Heuschrecken, Libellen, Schnabelkerfen, Wespen, Wildbienen, Hummeln und Zweiflüglern. Mehr als 40 verschiedene Schmetterlingsarten konnten nachgewiesen werden, vom anspruchslosen Wiesenvögelchen über den schönen Kleinen Perlmuttfalter und verschiedene Bläulingsarten bis hin zum winzigen, aber stark gefährdeten Kleinschmetterling Selagia argyrella, der bislang nicht mal einen umgangssprachlichen Namen hat.
Wenn die Natur in Zukunft weiter ihren Lauf nehmen kann, nur behutsam unterstützt von pflegender Hand, sollte der Naturraum seinen Titel zu Recht tragen. Hellerau ist als Gartenstadt gegründet worden und auch Klotzsche ist reich an wunderbaren Gärten. Wir alle könnten mit klug und naturnah bewirtschafteten Gärten dazu beitragen, das beängstigende Sterben der Insekten aufzuhalten. Wiese statt Rasen, einheimische Pflanzen statt Exoten aus dem Baumarkt. Der Insektengarten kann dazu Anregung geben.
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