
Als die Rote Armee im Januar 1945 die Grenze zu Schlesien überschritt, begann für Millionen Schlesier die Flucht in eisiger Winterkälte gen Westen. Die heranrückende Gefahr der sowjetischen Streitkräfte und die damit verbundene unsichere Zukunft zwangen sie zu dieser schweren Entscheidung, alles zurückzulassen und im Unbekannten eine neue Heimat zu finden. So brach auch Familie Briesen, die damals im schlesischen Schwiebus wohnte, auf; ihr Weg führte sie unter anderem durch Sachsen und Klotzsche. Die monatelange qualvolle Flucht war geprägt durch Kampfhandlungen zwischen den Frontlinien, später auch durch Gewaltakte sowjetischer Soldaten sowie den ständigen Mangel an Nahrung, Wasser und Unterkünften. Die genaue Zahl derer, die während der Flucht oder an ihren Folgen ihr Leben verloren, ist nicht genau bekannt, sie wird aber auf mehr als eine halbe Million geschätzt. Vergessen werden dürfen in diesem Zusammenhang auch nicht die Opfer, welche die mitteldeutsche Bevölkerung in diesem Zuge aufzubringen hatte; viele lebten ohnehin in beschränkten Wohn- und Lebensverhältnissen, zu denen besonders die weitgehende Zerstörung von Städten wie Dresden durch alliierte Bomber beitrug – ungeachtet der Einquartierung, Besetzung und Plünderung durch sowjetische Soldaten.
Das Einzelschicksal von Doris und Georg Briesen sowie ihrer drei kleinen Kinder hat der Familienvater im Tagebuch der Flucht von 1945 bis 1949 so detailliert beschrieben, dass es dem Leser ermöglicht, diesen Weg noch einmal nachzuerleben – mit allen damit verbundenen Erfahrungen und Emotionen; aber auch der dabei aufkommenden Bewunderung, unter welchen Entbehrungen und mit welchem Überlebenswillen die Flüchtenden ihren Weg bewältigten.
Auszug aus dem Tagebuch der Familie Briesen
In Klotzsche besuchen wir zuerst Steuers. Doris hat nach längerer Unterkunftssuche endlich Glück. Gegen 20 Uhr ziehen wir in die Königsbrücker Str. 72 ein, in die Villa des Reichsbahnrates Groh. Wir haben ein feines Quartier, zwei Zimmer im 1. Stock, möbliert, Balkon auf den Waldgarten hinaus, Kochgelegenheit!
Nächster Tag – 8. Juli – richtige Sonntagsstimmung für uns. Gefühl des Geborgenseins, wieder mal Mensch sein, allein, keine unmittelbare Bedrohung und Furcht, Stille ringsum. Grohs und Verwandte, Frau Dr. Schmidt, sind feine, gebildete Leute, manchmal aber auch kleinlich, übersensibel. Im Vergleich zu uns erlebten sie ja so gut wie nichts Besonderes. Sie sitzen hinter hohem Gebüsch und hungern. Selbstbehauptet unter allen Umständen, das können und kennen sie nicht. Doch freunden wir uns an und helfen uns gegenseitig, müssen aber leise sein wegen der kranken Frau Dr. Schmidt. Doris und die Tochter des Hauses, Tine Groh, freunden sich besonders an. Tine ist ein recht praktisches resolutes Mädchen, Sängerin.
Bitte um Mithilfe unserer Leserinnen und Leser bei den Nachforschungen
Die Redaktion des Klotzscher Heideblattes erhielt eine Anfrage des jüngsten und vierten Sohns der Familie, Heiko Briesen; er war 1945 zum Zeitpunkt des Aufbruchs noch nicht geboren. Er bittet um Mithilfe bei seinen Nachforschungen in Klotzsche; die Familie hatte den Sommer 1945 größtenteils in Klotzsche-Königswald verbracht und wohnte damals in der Königsbrücker Straße 72 (heute Königsbrücker Landstraße 72) bei Familie Groh:
Sehr geehrte Frau Eilers, herzlichen Dank für Ihre Mail.
Herr Bannack hat mir sehr spontan und überaus freundlich und kooperativ weitergeholfen.
Die Orte / Gebäude der Einquartierungen/ konnten so geklärt werden. Interessiert bin ich noch am Verbleib der mit Klotzsche verbundenen Familien:
-Hans (Johannes ?) Steuer, Handelsvertreter , damals 3 Kinder, Früher Lutherstr, heute Stendaler Str.16.
-Reichsbahnrat Groh, früher Königsbrücker Str. 72, heute Königsbrücker Landstraße 72 Tochter Tine Groh, damals Sängerin?
-Hilfe bei Flucht über Klotzsche durch Familie Heichen …? Vermutlich an einer Durchgangsstraße von Radeberg kommend am 22.4.1945
Unter anderem fühle ich mich diesen Menschen irgendwie noch zu Dank verpflichtet für ihre Menschlichkeit, die zum Überleben meiner Familie beigetragen hat.
Viele Grüße, Heiko Briesen
Anmerkung: Herr Briesen recherchiert und bearbeitet die Aufzeichnungen seines Vaters Georg, der dieses Tagebuch in erster Linie den bewundernswerten Leistungen und dem Lebenswillen seiner Frau gewidmet hat – aber auch als Vermächtnis an die Familie, niemals aufzugeben. Das komplette Tagebuch im Umfang von 68 Seiten hier im Klotzscher Heideblatt wiederzugeben, würde den Rahmen unserer Heimatzeitschrift sprengen; gekürzt würden die Erinnerungen an Lebendigkeit und Aussagekraft verlieren. Erinnerungen voller Schicksalsschläge auf dem Weg aus der schlesischen Heimat in den unbekannten Nordwesten Deutschlands, um dort eine neue Heimat zu finden – ein lesenswerter Bericht, der deutsche Geschichte widerspiegelt, die nicht vergessen werden darf.
Wer sich für das gesamte Tagebuch der Flucht interessiert, kann dieses unter www.klotzscher-heideblatt.de in voller Länge nachlesen.
Wir freuen uns über Hinweise zu den oben genannten Nachforschungen der Familie Briesen – Hinweise bitte an die Redaktion:
Klotzscher Heideblatt
c/o Klotzscher Verein e. V.
Kieler Str. 52 | 01109 Dresden
Internet: www.klotzscher-heideblatt.de
Ansprechpartner: Martin Jablinski
Mail: info.klotzscher.heideblatt@gmail.com
Telefon: 0176/ 821 45953
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