Weihnachten ohne Dominosteine wäre möglich, aber für mich und viele „Naschkatzen und -kater“ undenkbar. Obwohl Dominosteine der Herkunft nach nicht schon so lang bekannt sind wie andere Weihnachtsbackwaren, zum Beispiel Stollen, haben sie sich als traditionelle Weihnachtsleckerei auch international etabliert. Der Dresdner Chocolatier Herbert Wendler erfand diese „Steine“ im Jahr 1936. Eine wirkliche Innovation seiner Zeit wurde zu seinem Lebenswerk. Im nächsten Jahr wird die zeitweise auch „Notpraline“ Genannte schon 90 Jahre alt. Wir wollen dann ihrer Gedenken und das Jubiläum feiern.
Mit dem Dominostein kreierte Herr Wendler eine für fast jeden erschwingliche „Praline“, ein vollkommen neuartiges Erzeugnis, eine überzogene Schichtpraline, welche sich in der Massenproduktion günstig und qualitativ gut herstellen ließ. Die Jahre des Rohstoffmangels während des Zweiten Weltkriegs waren voller Entbehrungen, Nöte führten zu Ersatzrezepturen. Sie brachten dem Dresdner Dominostein auf einmal nicht nur den Namen „Kriegs- oder Notpraline“ ein, sondern machten ihn auch über die Landesgrenzen hinaus bekannt z. B. als Durchhaltegebäck“ für Soldaten.
Die Produktionsstätte für die Dominosteine befand sich bis zur Zerstörung der Dresdner Innenstadt im Februar 1945 in der Rosenstraße, später wurde sie dann nach Radebeul verlagert. 1952 zog die Firma von Herrn Wendler in das einstige Ballhaus „Alberthöhe“, Max-Hünig-Straße in Klotzsche um. Sein Unternehmen „Süßwarenfabrik Herbert Wendler KG“ produzierte ab dem Jahr 1953 in diesem historischen Altbau erfolgreich die leckeren „Steine“ weiter.
Wendlers Firma wurde im Jahr 1972 in der DDR durch Zwangsverkauf
enteignet und so verstaatlicht. Allerdings konnte Herr Wendler, nun Angestellter, diesen Betrieb im VEB Elite Dauerbackwaren als Direktor weiterführen. 1990 nach der Wende im hohen Alter von fast 80 Jahren erhielt Herr Wendler glücklicherweise seinen Betrieb zurück und übernahm nun als Eigentümer wieder das Zepter.
Die Spur seiner Steine hat auch meinen Lebensweg wiederholt berührt. Ab 1992 arbeitete ich als Angestellte im Rathaus Klotzsche. Oft führte mich in der Mittagspause der Weg zum „Domino-Wendler“, dessen Firma sich unweit vom Rathaus befand. Schon wenn man die Tür zum Werksverkauf öffnete, strömte einem der faszinierende typische Geruch der Advents- und Weihnachtszeit entgegen. Gern kaufte ich dort preiswert ein und auf dem Rückweg zum Rathaus waren dann schon einige Dominosteine aus der erworbenen Tüte verschwunden…
Trotz alledem war nach kurzer Zeit Mitte der 90iger Jahre der Konkurs nicht abzuwenden. Herbert Wendler musste 1996 Insolvenz anmelden. Nicht nur ich war traurig, als es diesen Werksverkauf auf einmal nicht mehr gab. Zwei Jahre später starb Herbert Wendler, ein beeindruckender und bewundernswerter Unternehmer, Visionär und Chocolatier.
Glücklicherweise verwehte die Spur seiner „Steine“ nicht im Wind der Umbrüche. Es ergab sich doch plötzlich eine Perspektive. In die Wendlerschen Fußstapfen trat eine mir aus meinem Studium bekannte Persönlichkeit, Herr Dr. Hartmut Quendt.
Hier ergab sich wiederum eine Verbindung zu meinem Leben. Ich studierte von 1972 bis 1976 an der TU Dresden Verarbeitungs- und Verfahrenstechnik in der Fachrichtung Lebensmitteltechnik. Hartmut Quendt war damals mein Seminargruppen-Berater. Zu jener Zeit war für mich schlicht nicht vorstellbar, ihm eine Karriere zu einem erfolgreichen Firmenchef in der Marktwirtschaft zuzutrauen. Aber man kann sich ja irren. Meine Erinnerung an Dr.-Ing. Quendt als Seminargruppen-Betreuer ist geprägt von Bescheidenheit und Neutralität seiner Person anderen gegenüber. Er ließ unsere Seminargruppe in Ruhe und wir ihn auch. Interessant waren unsere Ausflüge in die Umgebung Dresdens. Berührungen mit Lebensmitteln gab es immer, doch bei Themen zu Backwaren lief Hartmut zu Höchstform auf, wurde etwas redselig. Er brannte für Backwaren und deren Herstellung.
Dr. Quendt erreichte an der TU Dresden die Position eines wissenschaftlichen Oberassistenten. Ein Kommilitone von mir, Herr Dr. Ulrich Löser hatte diese Position 1981/ 1982 ebenfalls inne und arbeitete mit Dr. Quendt im Fachbereich Lebensmitteltechnologie, zum Thema Schneiden von Knäckebrot, zusammen. Er unterstützte mich bei den Recherchen zu diesem Text sehr und schickte mir auch einige seiner Fotos aus dieser Zeit.
Parallel zum Werdegang von Herrn Wendler als angestellter Direktor in einem VEB hatte der promovierte Ingenieur Hartmut Quendt in den 80ern eine Maschine entwickelt, die nun erlaubte „Russisch Brot“ im industriellen Maßstab herzustellen. „Russisch Brot“ war immer ein in Gesamtdeutschland bekanntes Produkt. Dieser erste Prototyp stand im Versuchslabor, Kaitzer Straße, des VEB Elite Dauerbackwaren Dresden. Dort kreuzten sich die Wege des Dr. Quendt mit denen von Herbert Wendler.
Als diese Produktionsanlage nach der politischen Wende eigentlich entsorgt werden sollte, rettete „Vater Quendt“ sein „Baby“ und gründete 1991 sein eigenes Unternehmen, die „Dr. Quendt Backwaren GmbH & Co. KG“ herausgelöst aus dem inzwischen aufgelösten VEB Dauerbackwaren Dresden.
Dr. Quendt erkannte sofort seine Chance und rettete so die Dresdner Dominosteine. Nach der Insolvenz und dem Tode Wendlers. „spurte er also weiter“ und nahm 1999 die Produktion der Steine in sein Sortiment. Im Jahr 2000 zogen Anlagen, Personal und natürlich zusammen mit der Aura von Herrn Wendler aus dem Ballsaal der Alberthöhe in seine GmbH nach Dresden-Coschütz um.
Mit Innovationsgeist und Unternehmertum baute Dr. Hartmut Quendt die Firma zu einem erfolgreichen Hersteller traditioneller sächsischer Spezialitäten aus – darunter Dresdner Christstollen, die legendären Dominosteine und das Russisch Brot.
Nach seinem Renteneintritt im Jahr 2006 übertrug er seinem Sohn Matthias die Rolle des geschäftsführenden Gesellschafters. Dr. Hartmut Quendt blieb aber weiterhin an seiner Seite. Tapfer kämpfte er jahrelang gegen eine Krebserkrankung. 2016 verlor er den Kampf und starb im Alter von nur 75 Jahren.
Die Übernahme der Mehrheitsbeteiligung an Dr. Quendt GmbH durch die Lambertz Unternehmensgruppe erfolgte ab Juni 2014. „Dr. Quendt“ blieb aber als eigenständige Marke erhalten und ist dadurch über die Landesgrenzen hinaus bekannt geworden.
Die weitere „Spur der Steine“ hat sich glücklicherweise nicht verloren. Man könnte sagen – Sie hat (auch) ein fast filmreifes (ost)deutsches Schicksal erfahren. Es gibt sie noch, die Dresdner Dominosteine, beliebt wie eh und je.
Wir gedenken ihrem Erfinder, ihren Rettern und deren Geschichte.
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